Einige Gedanken zu dem furchtbaren Terroranschlag auf "Charlie Hebdo":

Ein paar Gedanken zu dem furchtbaren Terroranschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo". Vorab: Ich begrüße ausdrücklich, dass mehr und mehr Politiker, Bürger und Medien erkennen, dass Freiheit und vor allem Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich sind und vor allen Angriffen geschützt werden müssen.

Und - so zynisch das auch klingt - ist es fast ein Glücksfall in all dem Unglück, dass zwei der Helden oder tragischen Opfer, nämlich der getötete Hilfspolizist in Paris und der junge Supermarktangestellte, der Kunden im Kühlhaus versteckte, voll in die Gesellschaft integrierte Muslime waren. Das macht es den ewig Gestrigen und Verblendeten (unter anderem den Pegidas etc.) deutlich schwerer, die Terroranschläge irgendwie ausländerfeindlich zu instrumentalisieren. Wer noch Hilfe bei der Differenzerung braucht, mag hier bei Twitter, hier bei Twitter, hier bei der Rhein Zeitung und hier beim Guardian weiter lesen (oder auch nur die Bildchen anschauen, das hilft schon):

Aber zu dem eigentlichen Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" bleiben doch aus technisch-rationaler Sicht ein paar Fragen offen bzw. verwundern. Ich will versuchen, sie ohne zuviel Zynismus zu formulieren:

(Ich nehme die Tatschilderungen aus Wikipedia und Spiegel Online zur Grundlage meiner Überlegungen, die (wohl) auf Augenzeugenberichten beruhen. Bessere Schilderungen gibt es derzeit nicht, und sie scheinen frei von Vermutungen und Erfindungen zu sein.)

Spätestens nach dem Abdruck der Mohammed-Karrikaturen im Jahr 2006 und nach dem Anschlag auf die dänische Zeitschrift in 2010, und allerspätestens nach dem Brandanschlag auf die Redaktion im Jahr 2011 war die Gefahr weiterer Anschläge doch offensichtlich.

Wenn man gleichzeitig lernt, dass in Frankreich - wie in ganz Europa - Kriegswaffen wie Sturngewehre und Raketenwerfer aus den letzten Bürgerkriegen leicht zu beschaffen sind, fragt man sich schon, was denn ein Sicherheitsbeamter oder Leibwächter, den die französische Polizei offensichtlich zum Schutz der Redaktion bzw. des Chefredakteurs abgestellt hatte, bei einem tatsächlichen schweren Angriff hätte ausrichten sollen. Wie die bittere Realität zeigt, offensichtlich nichts.

Warum wurde die Redaktion nicht stärker geschützt?

Nun ja, auch wenn die Antwort traurig stimmt, scheint es derzeit in den Köpfen nur zwei Alternativen zu derartigen Bedrohungen zu geben: Sie entweder als Preis für die Freiheit akzeptieren und damit leben oder den Schutz drastisch verstärken, wie es z.B. Israel im täglichen Leben praktiziert.

Nun bin ich persönlich sehr dankbar dafür, dass ich vor dem Einsteigen in den Bus nicht sämtliche Taschen ausleeren und eine Leibesvisitation über mich ergehen lassen muss, und auch nicht schon 4 Stunden vor dem Flug am Flughafen erscheinen  muss, aber vielleicht ist es ja als Zwischenweg denkbar, dass eine Auswahl potentieller Anschlagsziele zumindest so stark geschützt wird, dass ein Angriff deutlich schwerer wird.

Denn - um auf den Gedanken von oben zurückzukommen - was, wenn nicht die Redaktion von Charlie Hebdo, war denn ein wahrscheinliches Ziel islamistischer Anschläge in Europa?

Natürlich will ich damit keine Verschwörungstheorien befeuern (sonst kommen wieder die Gleichen hoch, die auch 9/11 für eine Inszenierung halten), aber der fassungslose Bürger fragt sich schon, warum dieser Hort der Meinungsfreiheit und vielbedrohte Ort nicht stärker geschützt war.

Nach den Ablaufschilderungen gab es nämlich nur eine weitere Sicherungsmaßnahme: Den Zahlencode, den man zum Betreten der Redaktion brauchte. Diesen konnten die Attentäter offensichtlich unter Ausnutzung der Tatsache, dass die Menschen in einer derartigen Sicherheitsarchitektur immer das schwächste Glied sind, problemlos durch Drohung an sich bringen. Auch dort fragt man sich, ob denn ein Zahlencode an der Tür, wie er übrigens in Paris an nahezu jedem Gebäude zu finden ist, einen wirksamen Schutz vor Anschlägen darstellen sollte...

Nach alledem kann man jedenfalls eins feststellen: Natürlich werden die Rufe nach Vorratsdatenspeicherung und mehr Überwachung wieder aufkommen, und sie werden so sinnentleert sein wie immer. Wir sind nicht bei "Minority Report", und in die Gehirne von Extremisten können wir auch nicht hineingucken, so gerne wir das auch würden. Die freiheitliche Gesellschaft muss sich aber dennoch fragen, was sie für die Verteidigung dieser Freiheit investieren will, persönlich und finanziell, und möglichst bald Antworten finden. Diese liegen nicht offen auf der Hand, weshalb die Diskussion weder leicht noch einfach sein wird.

Ich persönlich befürchte aber, dass sämtliche Überlegungen genauso versacken werden, wie in der leidigen Diskussion über die Sicherheit in Gerichten oder anderen öffentlichen Gebäuden bereits praktiziert: Nach jedem Anschlag wundert man sich über die laxen Sicherheitsvorkehrungen, Untersuchungen werden angestellt, es kommt der reflexhafte Hinweis auf den "verwirrten Einzeltäter", dessen Taten man nicht habe voraussehen können, und nach einiger Zeit geht man zur Tagesordung über und hofft insgeheim, dass es andere treffen mag oder man die bösen Absichten beim nächsten Mal durch Kommissar Zufall oder im Kaffeesatz vorher wird aufdecken können....

Fragen Sie doch mal Ihren örtlichen Landgerichtspräsidenten, wie die Sicherheit an Gerichten gegen Terroranschläge oder "normale" Amokläufe gewährleistet wird! Oder den Leiter der Arbeitsagentur, den Bürgermeister etc. Sie werden überrascht sein...

Wer noch zu den Werten weiterlesen will, die es da zu verteidigen gilt, dem sei der Blog des Historikers Achim Landwehr empfohlen: Europas Werte und das Paradox der Aufklärung

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